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„Die Wenden im Festhalten und Gebrauch ihrer Muttersprache ...“

- zum muttersprachlichen Kirchengesang der wendischen Bevölkerung in der Niederlausitz -

 Titelblatt des handschriftlichen geistlichen Liederbuches
„Wendisches Lieder-Buch“ (1797)
aus der Sammlung des Wendischen Museums / Serbski muzej in Cottbus

 

Mit der Christianisierung der in blutigen Kreuzzügen unterworfenen Wenden und gewaltsam in den deutschen Feudalstaat eingegliederten westslawischen Gebiete fand auch der Gregorianische Choral Eingang in die wendische Musikkultur. Im 11. Jh. empfahlen die „statuta synodales“ des Bistums Meißen/Mišno, „Gesänge und Sequenzen in der Muttersprache“ der Wenden zu lehren. Ein Gubener Dekret aus dem Jahre 1551 belegt, dass in der Niederlausitz bereits in vorreformatorischer Zeit neben deutschen auch „windische Kantoren und Organisten“ wirkten.

Als erster namentlich bekannter wendischer Kantor und Organist wurde 1609 in Vetschau/Wětošow Johannes Fliccius angestellt. 1574 gab der Pfarrer Albin Moller (1541-1618) aus Straupitz/Tšupc ein Wendisches Gesangbuch in niederwendischer Sprache heraus. Es war das erste gedruckte wendische Buch. Vordem – wie auch noch lange danach – wurden handschriftliche Bücher benutzt bzw. auswendig gelernte Lieder gesungen.

Ein außerordentlich erfolgreicher wendischer Kirchenmusiker war Johann Crüger (1598-1662) aus Groß Breesen/Brjazyna bei Guben/Gubin. Er vertonte die meisten Werke des berühmten evangelischen Kirchenliederdichters Paul Gerhardt (1607-1676). Crüger gelangte zu sehr hohem Ansehen und stieg bis zum Kantor und Organisten der St.-Nikolai-Kirche zu Berlin/Barliń auf. Unter seinen 70 Choralmelodien befänden sich viele wendischen Charakters, weil er in den Kinderjahren bestimmt auch wendische Volksmelodien gehört und gesungen habe, urteilte 1928 der Musikwissenschaftler Bernhard Krawc-Schneider (1861-1948). Crüger war nach Luther der bedeutendste Schöpfer protestantischer Choralmelodien, die heute in aller Welt von evangelischen und katholischen Christen gesungen werden. Selbst Johann Sebastian Bach (1685-1750) übernahm und bearbeitete zwei Crügersche Melodien in Chorälen.

Die geistlichen Lieder spendeten Trost, führten die Wenden zusammen und gaben ihnen ein Selbstwertgefühl in einer Zeit, da sie in ihrer angestammten Heimat als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. So bezeugt beispielsweise der fahrende Student Michael Francus 1591 über die deutschen Ritter in den Dörfern des „Kurmärkisch-wendischen Distrikts“, d.h. der Herrschaften Beeskow/Bezkow, Storkow/Storkow, Teupitz/Tupc, Zossen/Sosny und Bärwalde/Bjerwałd, in seinem Tagebuch, dass diese „ihre windische Leutlein als Stücker Viehe ansehen und gar sehre hassen ...“

Die Möglichkeit zu muttersprachlichem Gebet und kirchlichem Gesang wurde ständig eingeschränkt. So verlautet aus einem Verhandlungsbericht 1707 aus Göhren/Górzyn bei Crossen/Krosno aufgrund eines Protestes wegen der Einsetzung von der wendischen Sprache unkundigen deutschen Predigern im wendischen Gebiet: „Durch königliche Reskripte ist beholfen, daß die wendische Sprache, so viel wie möglich, sollte ausgerottet werden. An vielen Orten in dem Crossenschen sind die wendischen Predigten auch abgeschafft.“ 1667 wies Kurfürst Friedrich Wilhelm den Kircheninspektor für Beeskow/Bezkow und Storkow/Storkow in einem Reskript an: „Ihr möget die sub littera a bis e erwähnten wendischen Bücher ... bei denen Kirchen und Schulen konfiszieren und danach gäntzlich liquidieren“ und „Ihr und Eure Successores mögen auf die gänzliche Abschaffung derer wendischer Prediger Euer Augenmerk richten ...“ Unter Absatz „c“ wurde als zu vernichtendes Buch „Das von Johann Henning und Ernst Julius Coccius wendisch vertierte Gesangbüchlein de anno 1655“ angeführt, das seitdem als total verlustig gilt. 1668, erarbeitete das Oberkonsistorium zu Lübben/Lubin im Auftrage des Niederlausitzer Landesherrn Herzog Christian I. eine „Ohnvorgreifliche Monita, wie in hiesigem Markgrafentum die gäntzliche Abschaffung der wendischen Sprache am ehesten könne befördert werden“. Man berief sich darauf, dass im „Kurmärkisch-Wendischen Distrikt, so an diesen grenzt, mit der Abschaffung der wendischen Prediger nun ein Anfang geschehen“ sei, und forderte: „Woferne aber von einer Neumärkischen Regierung und Consistorio zu Küstrin etwas gegen die Wenden in Ansehung der Sprache im Cottbusischen Kreis sollte geschehen, welches wegen ihrer boshaften Widersetzlichkeit gegen eine von Gott gesetzte Obrigkeit billigerweise zu hoffen, möge man auch in allen Dorfschaften Calauischen und Sprembergischen Kreises die Begünstigung der wendischen Sprache ohngesäumt ein Ende setzen.“ Im selben Dokument ist die Abschaffung der wendischen Pfarrbibliotheken in der Niederlausitz angeordnet und befohlen: „Zum Andern soll der Wendische Kirchen Gesang gäntzlich eingestellet werden. Dahero mögen die Herren Patroni Manuscripta mit allen Wendischen Gesängen et cetera, so etwann in denen Kirchen vorhanden, auch etwann in solcher Sprache gedruckte Bücher wie dito M. Molleri Strupicensis Gesangbuch und Kleiner Cathechismus Wendisch vertiret alß abgöttisch und zur treuen Erfüllung der Unterthanen Pflichten nicht beytragend abschaffen laßen.“

Diese Anordnung gab es sicher nicht wegen weniger Bücher und Skripte. Im Normalfall gab es in jeder Gemeinde zwei Gesangsbücher – eines besaß der Pfarrer und eines der Kantor. In den Folgejahren wurde eine Nichtbefolgung der Anordnung nicht moniert. So ist offenbar der Aktion eine große Zahl Bücher und unersetzlicher Manuskripte zum Opfer gefallen. Von Magister Mollers Wendischem Gesangbuch entging ein einziges Exemplar der Vernichtung!

Der deutsche Pfarrer Johann Gottlieb Hauptmann (1703-1768) aus Lübbenau/Lubnjow, dem wir 1769 ein Kirchengesangbuch “Lubnowski Szarski Sambuch” verdanken, schrieb 1761 im Vorwort der „Niederlausitzischen Wendischen Grammatica“ zu den obrigkeitlichen Bemühungen, dass “die Wendische Sprache solle ausgerottet werden“: „Jedoch heute und morgen möchte solches wohl noch nicht geschehen, und übermorgen auch nicht, ja ich wette, daß die Wendische Sprache dich und mich überleben werde. ... Niemand verrathe so mercklich seinen unzeitigen Haß gegen diese unschuldige Sprache, denn er möchte auch zugleich seine Unwissenheit in derselben verrathen, nach dem bekannten Sprichworte: Ars & lingua, non habet osorem nisi ignorantem, das heißt: niemand hasset und verachtet die Wendische Sprache, als der sie nicht verstehet.“

Zu dieser Zeit verbesserte sich die Lage ein wenig, ohne jedoch bis heute zur Normalität zu gelangen. Selbst zur Herausgabe eines zweisprachigen wendisch-deutschen Kirchengesangbuches befand das Evangelische Konsistorium in Brandenburg 1821 zunächst, „dass jeder Abdruck eines wendischen Gesangbuches die Wenden im Festhalten und Gebrauch ihrer Muttersprache wieder auf lange Zeit befestige“ und deshalb „scheint diese Forderung eines solchen Werkes wieder gar bedenklich.“ Zunehmend wurden damals wendische Geistliche in deutsche Gemeinden und deutsche Geistliche in wendische Kirchspiele versetzt. Von der Reformation bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten wurden letztlich Sprache und Kirchengesang der Wenden aus mehr als 200 Kirchgemeinden der Niederlausitz verdrängt.

Datiert mit dem 19. Mai 1941 wurden durch das Evangelische Konsistorium der Mark Brandenburg in einem Schreiben an Pfarrer Gotthold Schwela (1873-1948) in Dissen/Dešno die Gottesdienste in wendischer Sprache schließlich gänzlich verboten. Die Wiederbelebung nach dem Krieg scheiterte an einer antiwendischen Grundhaltung. Die Kirche hatte damit auch nach dem 2. Weltkrieg Schuld auf sich genommen. Es wäre heute in vielen wendischen Angelegenheiten eigentlich von Wiedergutmachung zu reden.

Seit 1987 gibt es dank privater Initiative wieder wendische Gottesdienste in der Niederlausitz, gegenwärtig sechs bis acht im Jahr. Das ist anerkennenswert, doch leider nicht genug. Einer von Pf. Gotthold Schwela gefertigten Übersicht von 1927 kann man entnehmen, dass seinerzeit noch mehr als einhundert Mal im Jahr in den Kirchen der Region um Cottbus/Chóśebuz in niederwendischer Sprache gepredigt, gebetet und gesungen wurde.

Zum 50. wendischen Gottesdienst der neueren Zeit am 25. Februar 1996 in Dissen/Dešno sprach der damalige Cottbuser Generalsuperintendent Dr. Rolf Wischnath erstmals eine an die Wenden in der Niederlausitz gerichtete offizielle Entschuldigung der obersten Kirchenleitung aus: „Es ist zwar immer leichter, dass die Jüngeren die Schuld der Älteren bekennen, weil sie sich ja dabei mir nichts dir nichts auf die ´Gnade der späten Geburt´ berufen können. Ich will das nicht tun; aber es ist meine Aufgabe als Mitglied der Kirchenleitung heute einmal mehr die Gelegenheit zu nutzen, um zum Ausdruck zu bringen, dass das Schweigen der Kirche zum Verbot des wendischen, nationalen Wirkens im Jahr 1937 und das spätere Verbot des Gebrauchs der wendischen Sprache im Gottesdienst eine Last und ein Schatten der Verfehlung und der Schuld kirchlichen Handelns war. Um der Liebe Gottes willen bitte ich Sie, dieses Schattens gewärtig zu sein und die Wahrheit der Vergebung gegen ihn geltend zu machen. Wir brauchen Vergebung und Wiedergutmachung um der Liebe Gottes willen.“

Mit den wendischen Gottesdiensten ging seit 1987 eine Wiederbelebung des kirchlichen Gesangs in niederwendischer Sprache einher. Kirchenmusik und Choräle wurden für den Rundfunk produziert. 2002 erschien sogar erstmals eine CD „Ako słyńco gorjej stupašo. Dolnoserbske kjarliže - Wendische Kirchenlieder aus der Niederlausitz“. Noch 2006, bis zur Herausgabe eines neues Kirchengesangbuches durch den Förderverein für den Gebrauch der wendischen Sprache in der Kirche e.V., wurde indes aus Gesangsbüchern von 1915 bzw. von kopierten Liedblättern gesungen. Erwähnenswert ist auch die anhaltende Zuneigung zur lange verwendeten Frakturschrift (Schwabacher Schrift). In diesem Jahr wird nun voraussichtlich auf dem weihnachtlichen Gabentisch ein neues Kirchenliederbuch in niederwendischer (niedersorbischer) Sprache liegen. Es wird vielleicht das letzte in der Geschichte der Wenden in der Niederlausitz sein, denn die Sprache der Lausitzer Ureinwohner ist weiterhin akut vom Aussterben bedroht!

 „Wšo, což naš Bog how stwórił jo, to co wón teke zdźaržaś“ (Alles, was unser Gott hier geschaffen hat, das will er auch erhalten), heißt es aber ermutigend in einem der Choräle.

 Werner Meschkank, Cottbus-Saspow

Hobźělenje na dolnoserbskich namšach nowšego casa wót lěta 1987 do lěta 2005
- pśerěznje 79 namšarjow na namšu a pśerěznje 524 namšarjow kužde lěto;
(Spěchowańske towaristwa za serbsku rěc w cerkwi z. t.; zestajił Werner Měškank)

 Teilnehmer an niederwendischen Gottesdiensten der neueren Zeit von 1987 bis 2005
(Stand 31.12.2005; in Klammern nach den Jahreszahlen Zahl der Gottesdienste)

- durchschnittlich 79 Teilnehmer pro Gottesdienst und durchschnittlich 524 Teilnehmer pro Jahr;
 (Förderverein für den Gebrauch der wendischen Sprache in der Kirche e. V.; erarbeitet Werner Meschkank)

 

Wendisches Museum / Serbski muzej
[niedersorbisch-wendisches Leitmuseum]

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Tel:
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